Mann hält Regenschirm gegen den Wind
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Resilienz: Krisenkompetenz durch innere Stärke

Resilienz ist die seelische „Widerstandskraft“ eines Menschen bzw. seine Fähigkeit, mit Widrigkeiten und hohen Belastungen gut umzugehen und Krisen und Traumata so zu bewältigen, dass seine oder ihre psychische Gesundheit erhalten bleibt. In Zeiten wie diesen eine sehnlich herbeigewünschte Eigenschaft - die sich glücklicherweise auch ein Stück weit aneignen lässt.

Factbox – Resilienz

Definition: Fähigkeit, mit Schwierigkeiten und Rückschlägen gut umgehen zu können und Krisen und Traumata so zu bewältigen, dass die psychische Gesundheit erhalten bleibt. Resilienz ist ein dynamischer, lebenslanger Prozess, in dem es um komplexe Interaktionen zwischen einer Person und deren Umgebung geht und bei dem Schutz- und Risikofaktoren eine Rolle spielen.

Schutzfaktoren (Beispiele): – interne: Problemlösefähigkeit, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen; realistisches und positives Selbstkonzept; Fähigkeit zur Selbstregulation; aktives Bemühen um Bewältigung; optimistische, zuversichtliche Lebenseinstellung; körperliche Gesundheit,…
-externe: mindestens eine stabile, verlässliche Bezugsperson; gute Bewältigungsfähigkeiten der Eltern in Belastungssituationen; dosierte soziale Verantwortlichkeiten und individuell angemessene Leistungsanforderungen

Risikofaktoren (Beispiele): Frühgeburtlichkeit; chronische Erkrankungen; unsichere Bindungen; geringe kognitive Fähigkeiten; geringe Fähigkeiten zur Selbstregulation von Anspannung und Entspannung; chronische Armut; psychische Erkrankungen eines bzw. beider Elternteile; ungünstige Erziehungspraktiken der Eltern,…

Generell gilt:
– Resilienz ist ein dynamischer Prozess, in dem es um komplexe Interaktionen zwischen einer Person und deren Umgebung geht.

– Fähigkeiten, die zu einer höheren Resilienz beitragen, können auch später im Leben erworben bzw. laufend verbessert werden.

– Resilienz entwickelt sich nicht nur trotz widriger Lebensumstände, sondern gerade auch wegen dieser negativen Bedingungen: Es besteht eine belastende Situation. Diese belastende Situation wird erfolgreich bewältigt.

– Die Fähigkeit zur Resilienz ist nicht allgemeingültig und auf alle Lebensbereiche übertragbar, sondern auch situationsabhängig.

Was ist Resilienz?

Der Begriff Resilienz leitet sich aus dem lateinischen Wort ‚resilire – zurückprallen‘ ab und kommt ursprünglich aus dem Bereich der Werkstoffkunde in der Physik. Damit wird die Beschaffenheit von bestimmten Elementen beschrieben, die auch nach extremen Außeneinwirkungen in ihre Ausgangsform zurückspringen. Dieses Konzept wurde ab Mitte des 20. Jahrhunderts in die Psychologie übernommen und man verstand darunter eine Eigenschaft des Menschen, die sich als psychische Widerstandskraft beschreiben lässt. Gemeint ist damit die Fähigkeit, mit Schwierigkeiten und Rückschlägen gut umgehen zu können und Krisen und Traumata so zu bewältigen, dass die psychische Gesundheit erhalten bleibt.

Eine wegweisende Studie

Eine der Pionierinnen der Resilienzforschung war die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner. Sie und ihr Team begleiteten den gesamten Geburtsjahrgang 1955 der hawaiianischen Insel Kauai über mehrere Jahrzehnte hinweg. Sie beobachteten und interviewten dabei 698 Menschen und erhoben Daten über ihre Lebens- und Gesundheitssituation. Knapp ein Drittel dieser Menschen wuchsen als Kinder unter sehr schwierigen Verhältnissen auf und erlebten Armut, Krankheit der Eltern, Vernachlässigung, Gewalt in der Familie etc. Bei zwei Dritteln dieser Gruppe stellten die Forscher fest, dass sie schwere Lern- und Verhaltensstörungen entwickelten, teilweise straffällig wurden und schwerwiegende psychische Probleme hatten.
Aber: Ein Drittel dieser Risikogruppe entwickelte sich trotz ihrer schwierigen Ausgangsbedingungen gut, zeigte keine psychiatrischen oder andere chronische Gesundheitsprobleme, fand erfüllende Arbeit, war optimistisch etc.: Sie waren resilient.

Aus dieser und anderen Studien weiß man also, dass ungünstige Voraussetzungen nicht unbedingt zu Not und Misserfolg führen. Resiliente Menschen verfügen über bestimmte Eigenschaften und Strategien, die es ihnen ermöglichen, an widrigen Umständen nicht zu zerbrechen bzw. eine Krise oder ein Trauma so zu bewältigen, dass ihre psychische Gesundheit erhalten bleibt. Frei nach dem Motto:

„Start where you are – Use what you have – Do what you can.“ (Beginne dort wo du gerade bist – benutze was du hast – mach was im Moment möglich ist)

Unbekannt

Heutige Erkenntnisse

In früheren Resilienzkonzepten ging man davon aus, dass es sich bei Resilienz um eine angeborene oder in frühen Kindheitsjahren entwickelte Eigenschaft handelt, die vorgegeben und weitgehend unveränderlich ist. Heute sieht man Resilienz als dynamischen Prozess, in dem es um komplexe Interaktionen zwischen einer Person und deren Umgebung geht. Und: Man nimmt an, dass Fähigkeiten, die zu einer höheren Resilienz beitragen, durchaus auch später im Leben erworben bzw. laufend verbessert werden können.

Wichtig zu wissen ist auch, dass Resilienz sich nicht nur trotz widriger Lebensumstände, sondern gerade auch wegen dieser negativen Bedingungen entwickelt. Das heißt, dass es zwei Aspekte geben muss, damit man von Resilienz sprechen kann: Es besteht eine belastende Situation. Diese belastende Situation wird erfolgreich bewältigt.

Zudem ist die Fähigkeit zur Resilienz nicht allgemeingültig und auf alle Lebensbereiche übertragbar, sondern auch situationsabhängig. Eine Person kann zum Beispiel beruflich sehr stressresistent sein und ihre Aufgaben auch unter Druck gut meistern, während sie mit sozialem Stress im privaten Bereich nicht gut umgehen kann.

Risiko- und Schutzfaktoren

In der klassischen Entwicklungspsychologie lag der Fokus lange Zeit auf den Entwicklungsrisiken, denen ein Mensch ausgesetzt sein kann. Mit der Resilienzforschung kam es in dieser Hinsicht zu einem Paradigmenwechsel. Analog zum Konzept der Salutogenese, das vom Soziologen und Gesundheitswissenschaftler Aaron Antonovsky als Alternative zum krankheitszentrierten Modell der Pathogenese entwickelt wurde, stellt auch die Resilienzforschung die Schutzfaktoren und ihre protektive Wirkung ins Zentrum des Interesses – ohne allerdings dabei die Risikofaktoren zu vernachlässigen. Es geht also um die Frage, welche Umstände dazu beitragen, trotz widriger Bedingungen seelisch gesund zu bleiben. Dabei geht es nicht nur um das Gegenteil oder das Fehlen von Gesundheits- oder Entwicklungsrisiken, und grundsätzlich spielen dabei verschiedene Faktoren, die dynamisch miteinander verzahnt sind und sich gegenseitig verstärken, eine Rolle.

Solche Schutzfaktoren sind zum Beispiel:

interne Schutzfaktoren:
– Problemlösefähigkeit
– Selbstwirksamkeitsüberzeugungen
– ein realistisches und positives Selbstkonzept
– Fähigkeit zur Selbstregulation
– aktives Bemühen um Bewältigung (zum Beispiel die Fähigkeit, soziale Unterstützung zu mobilisieren)
– optimistische, zuversichtliche Lebenseinstellung
– körperliche Gesundheit

externe Schutzfaktoren:
– mindestens eine stabile, verlässliche Bezugsperson, die Sicherheit, Vertrauen und Autonomie fördert
– gute Bewältigungsfähigkeiten der Eltern in Belastungssituationen
– dosierte soziale Verantwortlichkeiten und individuell angemessene Leistungsanforderungen

Zu den Risikofaktoren zählen zum Beispiel:

personale und genetische Risikofaktoren:
– chronische Erkrankungen
– geringe kognitive Fähigkeiten
– geringe Fähigkeiten zur Selbstregulation von Anspannung und Entspannung

soziale Risikofaktoren:
– unsichere Bindungen
– chronische Armut
– psychische Erkrankungen eines bzw. Beider Elternteile
– niedriges Bildungsniveau der Eltern
– ungünstige Erziehungspraktiken der Eltern

Ein dynamisches Zusammenspiel vieler Faktoren

Grundsätzlich wird angenommen, dass Schutzfaktoren die belastende Wirkung von Risikofaktoren abfedern.

In früheren Forschungen zur Resilienz ging man davon aus, dass bestimmte Faktoren universell schützend oder risikoerhöhend wirken. Heute sind sich die Wissenschaftler aber darin einig, dass die Wirkung einzelner Schutzfaktoren individuell sehr unterschiedlich und kontextabhängig ist. So kann etwa soziale Unterstützung bei zu viel tatkräftiger Hilfe dazu führen, dass die eigene Selbstwirksamskeitserwartung sinkt. Deshalb geht man aktuell davon aus, dass – insbesondere im Hinblick auf traumatische Ereignisse – eine flexible Selbstregulation einen wichtigen personalen Schutzfaktor darstellt.

Viele Wissenschaftler sprechen heute auch von einem prozesshaften Charakter von Resilienz. Das bedeutet, dass Menschen sich während der Bewältigung von Stressoren verändern – zum Beispiel durch veränderte Einstellungen und Ansichten, neue gewonnene Kompetenzen oder eine teilweise Immunisierung gegenüber den Auswirkungen zukünftiger Stressoren. Aktuell wird Resilienz daher als dynamischer und lebenslanger Prozess verstanden, der im Wechselspiel zwischen Person und Umwelt erfolgt und über verschiedene Lebensbereiche und -phasen variiert.

Neueste Forschungsergebnisse

Ein ganz neuer Ansatz in der Resilienzforschung ist die neurobiologische Forschung. In Tierversuchen fand man heraus, dass es bei manchen Tieren unter massiver Stresserfahrung zu Veränderungen im Gehirn kommt, die Tiere sich aber nicht „gestresst“ verhalten. In manchen Fällen waren die durch Stress ausgelösten neuralen Veränderungen sogar der Grund dafür, dass sich die Tiere stabil verhielten. Durch adaptive Anpassungen gewannen sie gewissermaßen eine  „äußere“ Stabilität durch „innere“ Flexibilität. Noch steht die neurobiologische Resilienzforschung in ihren Anfängen, doch es gibt groß angelegte Untersuchungen zu diesem Aspekt, die auch andere Erkenntnisse über Resilienz mitberücksichtigen.

Kann man Resilienz messen?

Resilienz wird in Forschung, Verhaltensbeobachtung und Auswertung von Trainings und Maßnahmen untersucht, und man versucht auch, sie zu messen. Es gibt verschiedene Resilienz-Skalen, die auf unterschiedlichen Konzepten basieren und zum Beispiel die Verfügbarkeit verschiedener Ressourcen erfassen, aber ein allgemeingültiger Standard zur Erfassung von Resilienz existiert nicht.

Kann man Resilienz trainieren?

Im Gegensatz zu früher, als man annahm, dass Resilienz genetisch bedingt und in der Persönlichkeit vorgegeben ist, geht man heute davon aus, dass Fähigkeiten, die zu einer höheren Resilienz beitragen, auch später im Leben erworben werden können und dass zumindest Teilaspekte von Resilienz durch Förderung und Training signifikant verbessert werden können. Zunutze macht man sich diese Erkenntnisse zum Beispiel in der Frühförderung von Kindern, die, wenn sie gezielt unterstützt werden, bewältigungsorientierte Kompetenzen erwerben können. Ein Training im eigentlichen Sinn ist das aber nicht, und eine der führenden Resilienzexpertinnen im deutschsprachigen Raum, Corinna Wustmann, die sich vor allem mit der Resilienz von Kindern beschäftigt, betont, dass Resilienz vor allem auf verlässliche Beziehungsangebote und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit im Lebensalltag baut.

Was Erwachsene betrifft, so können sie ihre Resilienz erforschen und bedingt auch trainieren. Solche Trainings zielen darauf ab, die individuelle Resilienz im Zusammenhang mit einem bedeutsamen Stressor zu fördern. Sie können

– sich auf einen kommenden Stressor (zum Beispiel einen militärischen Einsatz) vorbereiten,
– während eines Stressors (wie einer Prüfung) erfolgen oder
– nach einer Stressorexposition, wie etwa einer Naturkatastrophe ansetzen.

Die Trainings sind ressourcenorientiert und stärken einen oder mehrere veränderbare Resilienzfaktoren (zum Beispiel Problemlösekompentenz, Selbstwirksamkeit, Optimismus). Sie basieren auf unterschiedlichen Theorien und umfassen unter anderem Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie oder achtsamkeitsbasierte Verfahren, die dabei helfen, Resilienz zu fördern und zu entwickeln.

Kritik am Resilienzkonzept

In der Auseinandersetzung mit dem Konzept der Resilienz entsteht manchmal der Eindruck, als könne jeder alle Krisen überwinden, wenn er oder sie nur resilient genug ist. Viele Wissenschaftler, die sich mit Resilienz beschäftigen, warnen jedoch davor, den Begriff auf diese Weise falsch zu verstehen, denn es gibt Situationen, die ein Einzelner nicht bewältigen kann, und Resilienz ist nicht immer und nicht für jeden machbar oder trainierbar. Trotzdem stellt das Konzept einen wichtigen Ansatz zur umfassenden Gesundheitsförderung dar und die Forschung dazu wird wohl weiterhin neue Erkenntnisse liefern.

  • Autor

    Mag. Gabriele Vasak

    Medizinjournalistin

    Gabriele Vasak ist seit 2019 freie Journalistin in der DocFinder-Redaktion. Ihr besonderes Interesse liegt schon lange im Bereich der medizinischen Contentproduktion. Im Jahr 2006 wurde sie mit dem Medienpreis für Gesundheitsförderung & Prävention des Fonds Gesundes Österreich ausgezeichnet, und im Jahr 2010 erhielt sie den Pressepreis der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie.

Bengel J, Lyssenko L; Resilienz und Schutzfaktoren, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
https://www.leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/resilienz-und-schutzfaktoren/

Resilience Handbuch, Resilience Project EU;
http://www.resilience-project.eu/fileadmin/documents/Guidelines_de_2014.pdf

Sonnenmoser M.; Resilienz: Ein Konzept im Wandel, Ärzteblatt .deNov 2018;
https://www.aerzteblatt.de/archiv/202470/Resilienz-Ein-Konzept-im-Wandel

Kunzler A et al.: Aktuelle Konzepte der Resilienzforschung, Der Nervenarzt 7/2018;
https://www.springermedizin.de/aktuelle-konzepte-der-resilienzforschung/15785626?fulltextView=true

Kalisch et al.: DFG-Sonderforschungsbereich SFB1193 „Neurobiologie der Resilienz gegenüber stressinduzierter psychischer Dysfunktion: Mechanismen verstehen und Prävention fördern“,
https://www.degruyter.com/view/journals/nf/23/2/article-p124.xml?language=de&tab_body=fullHtml-79661

Faust F, Resilienz; Psychiatrie heute, Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit;
https://www.psychosoziale-gesundheit.net/pdf/Int.1-Resilienz.pdf

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