gestresste Frau mit Chaos im Kopft
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ADHS bei Erwachsenen

Entgegen früherer Annahmen betrifft ADHS nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene. Die Symptome der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung zeigen sich bei Erwachsenen oft auf eine andere Weise als bei Kindern und Jugendlichen. Trotzdem stehen auch sie häufig vor erheblichen Herausforderungen in verschiedenen Lebensbereichen. Lesen Sie hier die wichtigsten Fakten über ADHS bei Erwachsenen.

Zusammenfassung

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung) bei Erwachsenen

Definition: Neuronale Entwicklungsstörung, Verhaltensstörung, hyperkinetische Störung mit Defiziten im Bereich Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Aktivität

Symptome: Aufmerksamkeitsstörung: leichte Ablenkbarkeit, reduzierte Konzentrationsfähigkeit, Vergesslichkeit, sprunghaftes Denken, Zerstreutheit, Desorganisation; Hyperaktivität: Nervosität, innere Anspannung und Unruhe, starke Ungeduld; Impulsivität: gesteigerter Rededrang, Neigung, andere zu unterbrechen, Handeln ohne vorherige Risikoabwägung,….zusätzlich: emotionale Labilität, Stressintoleranz, gestörtes Sozialverhalten, verringertes Selbstwertgefühl

Häufige Begleiterkrankungen: Schlafstörungen, Suchterkrankungen, Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen, Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen, psychosomatische Beschwerden,…

Diagnose: Anamnese, ggf. CT, MRT und EEG, Selbst- und Fremdbeurteilungsfragebögen

Behandlung: Psychoedukation, kognitive Verhaltenstherapie, Medikamente

ADHS im Erwachsenenalter

Die Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist keine Störung, die nur Kinder und Jugendliche betrifft. Während man früher annahm, dass ADHS sich im Erwachsenenalter „auswächst“, weiß man heute, dass rund zwei Drittel der Kinder mit ADHS auch als Erwachsene unter der Störung leiden.

Falls Betroffene jedoch als Kinder nicht diagnostiziert wurden, gestaltet sich die Diagnose im späteren Leben oft schwieriger. Das liegt daran, dass Erwachsene mit ADHS die Störung häufig bereits auf verschiedene Weisen kompensiert haben oder Begleiterkrankungen wie Depressionen entwickeln können, die die ADHS-Symptome überdecken können.

Zudem verändern sich die ADHS-Symptome im Erwachsenenalter und zeigen sich bei Erwachsenen anders als bei jungen Menschen. Zum Beispiel ist übermäßige motorische Aktivität nur bei 30 bis 60 Prozent der Erwachsenen feststellbar, und die äußerlich sichtbare Unruhe entwickelt sich bei den meisten zu einer inneren Unruhe, die von außen nicht mehr offensichtlich ist. Die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen hingegen bleiben bestehen und führen häufig zu Schwierigkeiten in Ausbildung und Beruf.

Wie häufig ist ADHS im Erwachsenenalter?

Verschiedene Untersuchungen zur Häufigkeit der ADHS bei Erwachsenen in deutschsprachigen Ländern zeigen, dass die Kriterien für eine ADHS-Diagnose zwar nur bei fünf bis 15 Prozent der Erwachsenen vollständig erfüllt sind, dass aber manche Symptome und ADHS-typische Probleme bei etwa 70 Prozent auch bei ihnen auftreten. Schätzungen zufolge betrifft ADHS etwas 2,5 % der Erwachsenen. Es ist wichtig zu beachten, dass die Diagnose und Erfassung von ADHS im Erwachsenenalter oft komplexer ist als bei Kindern.

Symptome von ADHS bei Erwachsenen

Das Erscheinungsbild von ADHS ist durch drei Hauptmerkmale Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität gekennzeichnet und kann sich mit zunehmendem Alter verändern. Im Erwachsenenalter unterscheidet sich ADHS oft erheblich von der Ausprägung bei Kindern und Jugendlichen.

Die früher oft auffällige Hyperaktivität und motorische Unruhe bei Kindern weicht einer inneren Unruhe und einem Gefühl der Getriebenheit bei Erwachsenen. Die Impulsivität kann im Erwachsenenalter abnehmen, während die Schwierigkeiten aufgrund von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen bei den meisten Betroffenen fortbestehen.

Erwachsene mit ADHS können sich jedoch stark auf Dinge fokussieren (Hyperfokussierung), die sie besonders interessieren. Der Hyperfokus bei ADHS ermöglicht es, die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema über Stunden oder Tage hinweg zu lenken und sich vollständig auf die Arbeit zu konzentrieren, ohne Ablenkung. Dies kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben, da es die Effizienz bei langwierigen Aufgaben steigert und sie herausragende Leistungen erbringen können, aber auch dazu führen kann, dass Betroffene übermäßig lange ohne Pausen arbeiten.

Die Symptome von ADHS im Detail:

Aufmerksamkeitsstörung:

  • Leichte Ablenkbarkeit
  • Häufige Flüchtigkeitsfehler
  • Reduzierte Konzentrationsfähigkeit
  • Vermeidungsverhalten bei Aufgaben, die Durchhaltevermögen erfordern
  • Häufiges Vergessen von Dingen
  • Sprunghaftes Denken
  • Zerstreutheit
  • Verträumtheit
  • Schwierigkeiten bei der Selbstorganisation und der Planung

Hyperaktivität:

  • Nervosität
  • Innere Anspannung
  • Innere Unruhe
  • Starke Ungeduld

Impulsivität:

  • Erhöhter Rededrang
  • Tendenz, andere im Gespräch zu unterbrechen oder zu provozieren
  • Handeln ohne vorherige Risikoabwägung
  • Vorschnelle Entscheidungen
  • Missachtung von Regeln und Vorschriften

Zusätzlich zu diesen drei Kernsymptomen können bei Erwachsenen mit ADHS häufig auch Probleme auftreten, die mit Desorganisation, emotionaler Labilität, Stressintoleranz, gestörtem Sozialverhalten und einem verringerten Selbstwertgefühl in Verbindung stehen.

Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei ADHS

Lange Zeit wurde ADHS hauptsächlich als eine Störung angesehen, die vorwiegend bei Männern auftritt. Inzwischen ist bekannt, dass Mädchen und Frauen oft andere Symptome aufweisen als Jungen und Männer. Bei ihnen sind die hyperaktiven und impulsiven Symptome häufig weniger ausgeprägt, und sie neigen dazu, diese zu kompensieren. Dies ist einer der Gründe, warum ADHS bei Frauen oft nicht ausreichend diagnostiziert wird. Dennoch sind Aufmerksamkeitsprobleme bei beiden Geschlechtern das Hauptmerkmal von ADHS im Erwachsenenalter.

Begleiterkrankungen bei ADHS

ADHS ist häufig von weiteren Erkrankungen begleitet, die gerade im Erwachsenenalter oft im Vordergrund stehen. Dazu zählen:

Positive Seite von ADHS

ADHS kann trotz der Herausforderungen, die sie mit sich bringt, auch einige positive Aspekte haben:

  • Kreativität: Menschen mit ADHS haben oft einen kreativen und einfallsreichen Geist. Sie denken oft außerhalb der Box und können innovative Lösungen für Probleme finden.
  • Schnelle Auffassungsgabe: Einige Erwachsene mit ADHS haben eine schnelle Auffassungsgabe und können Informationen sehr schnell verarbeiten. Dies kann in bestimmten beruflichen Situationen von Vorteil sein.
  • Enthusiasmus und Energie: Menschen mit ADHS sind oft sehr enthusiastisch und voller Energie. Sie können sich leicht für Dinge begeistern und sind bereit, neue Herausforderungen anzunehmen.
  • Hyperfokussierung: Der Hyperfokus bei ADHS ermöglicht es, die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema über Stunden oder Tage hinweg zu lenken und sich vollständig auf die Arbeit zu konzentrieren, ohne Ablenkung.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass nicht alle Menschen mit ADHS diese positiven Eigenschaften in gleichem Maße aufweisen, und die Störung kann auch erhebliche Herausforderungen mit sich bringen, die professionelle Unterstützung erfordern. Es ist entscheidend, die individuellen Bedürfnisse und Stärken zu erkennen und angemessene Strategien zur Bewältigung der Herausforderungen zu entwickeln.

Welcher Arzt bei ADHS?

Wenn bereits im Kindesalter die Diagnose ADHS gestellt wurde, wird der betreuende Arzt zu gegebener Zeit an einen Facharzt für Psychiatrie verweisen. Wenn erst im Erwachsenenalter der Verdacht auf ADHS besteht, ist auch in diesem Fall der Facharzt für Psychiatrie der richtige Ansprechpartner.

Diagnose

Bei der Diagnose von ADHS führt der Arzt zunächst ein ausführliches Anamnesegespräch durch, um nach vorliegenden Beschwerden zu fragen. Dabei ist es auch wichtig, mögliche Begleiterkrankungen zu ermitteln und andere Krankheiten auszuschließen. Hierbei können zusätzliche spezielle Untersuchungen wie CT, MRT und EEG zum Einsatz kommen. Selbst- und Fremdbeurteilungsfragebögen können ebenfalls bei der Diagnosestellung hilfreich sein.

Für die Diagnose müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein:

  • Die Störung besteht seit der Kindheit.
  • Es müssen mindestens sechs Anzeichen von Unaufmerksamkeit, Impulsivität oder Hyperaktivität vorhanden sein.
  • Die Probleme müssen in mehr als einem Lebensbereich auftreten.
  • Sowohl das soziale als auch das berufliche Leben sind stark beeinträchtigt.

Behandlung von ADHS

Die Therapie von ADHS sollte als Teil eines ganzheitlichen Behandlungskonzepts durchgeführt werden, das die individuelle Umstände und Symptome des Patienten berücksichtigt. Eine wichtige Basis dieser Therapie ist die umfassende Psychoedukation, bei der Informationen über die Störung, deren Auswirkungen und die verfügbaren Behandlungsoptionen vermittelt werden.

Bei einer leichten Ausprägung wird hauptsächlich mit psychosozialen Methoden wie kognitiver Verhaltenstherapie gearbeitet. Ist die Störung stark ausgeprägt, setzt man in der Behandlung oft auf eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten.

Die am häufigsten verwendeten Medikamente enthalten den Wirkstoff Methylphenidat, und manchmal wird auch Atomoxetin eingesetzt. Diese Substanzen können die Aufmerksamkeit verbessern und die Hyperaktivität sowie Impulsivität mildern. Es ist jedoch zu beachten, dass der Einsatz und die Wirksamkeit von Methylphenidat bei Erwachsenen mit ADHS noch nicht so umfassend erforscht sind wie bei Kindern.

Konsequenzen einer unbehandelten ADHS

ADHS kann erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität und die soziale Integration haben. Betroffene Menschen stoßen oft auf Schwierigkeiten in ihrer schulischen, beruflichen und persönlichen Entwicklung, was zu Konflikten in der Familie, im Freundeskreis und in Partnerschaften führen kann. Dies bedeutet beispielsweise, dass Menschen mit unbehandelter ADHS häufig ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen, den Wohnort und den Job häufig wechseln, hohe Scheidungsraten aufweisen und nur wenige enge Freundschaften pflegen.

Oft treten begleitende psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Schlafstörungen und Suchterkrankungen auf. Weiters findet sich ein erhöhtes Delinquenzrisiko, und die Lebensqualität der Betroffenen kann deutlich reduziert sein.

Bewältigung des Alltags mit ADHS: Praktische Tipps

Auch bei Erwachsenen kann ADHS den Alltag herausfordernd gestalten, insbesondere in Bezug auf Selbstorganisation und Selbstkontrolle. Hier sind einige hilfreiche Tipps, um Betroffenen den Alltag zu erleichtern:

  1. Strukturieren Sie Ihren Tag: Erstellen Sie einen Tagesplan und verwenden Sie Listen, um Aufgaben zu organisieren. Denken Sie daran, auch Zeit für Pausen einzuplanen.
  2. Arbeiten Sie schrittweise: Teilen Sie größere Aufgaben in kleinere Schritte auf und erledigen Sie diese nacheinander. Das macht komplexe Aufgaben überschaubarer.
  3. Schaffen Sie eine ablenkungsfreie Zone: Gestalten Sie Ihren Arbeitsplatz frei von störenden Elementen, um Ihre Konzentration zu verbessern.
  4. Nutzen Sie Erinnerungshilfen: To-do-Listen, Einkaufslisten und Terminerinnerungen können Ihnen helfen, wichtige Aufgaben nicht zu vergessen.
  5. Etablieren Sie Routinen: Regelmäßige Abläufe im Alltag können Ihnen bei der Organisation und Strukturierung helfen.
  6. Bauen Sie überschüssige Energie ab: Sport und Hobbys sind großartige Möglichkeiten, um überschüssige Energie zu kanalisieren und Stress abzubauen.
  7. Suchen Sie Unterstützung: Zögern Sie nicht, Hilfe von Angehörigen, Freunden oder Fachleuten in Anspruch zu nehmen, wenn es Ihnen schwerfällt, Strategien zur Bewältigung des Alltags umzusetzen.

Selbsthilfegruppen

Eine Selbsthilfe mit ihrem Austausch unter Gleichbetroffenen und zahlreichen anderen Angeboten kann für Menschen mit ADHS eine wertvolle Unterstützung sein. Viele Online-Termine finden Sie zum Beispiel unter: https://team-adhs.at

FAQ

Wenn ADHS noch nicht in der Kindheit diagnostiziert wurde, ist der Facharzt für Psychiatrie der richtige Ansprechpartner für eine Diagnose. Er oder sie wird dann weitere diagnostische und therapeutische Schritte einleiten.

Im Gegensatz zu Kindern mit ADHS, die oft sehr stark motorische Hyperaktivität zeigen, sind erwachsene ADHS-Betroffene häufig eher innerlich unruhig. Die Aufmerksamkeitsstörung und die Impulsivität sind aber auch bei ihnen gegeben.

Erwachsene ADHS-Betroffene haben oft Konflikte, die sich aus Substanzmissbrauch, Problemen in Partnerschaft und Sexualität und Delinquenz ergeben.

  • Autor

    Mag. Gabriele Vasak

    Medizinjournalistin

    Gabriele Vasak ist seit 2019 freie Journalistin in der DocFinder-Redaktion. Ihr besonderes Interesse liegt schon lange im Bereich der medizinischen Contentproduktion. Im Jahr 2006 wurde sie mit dem Medienpreis für Gesundheitsförderung & Prävention des Fonds Gesundes Österreich ausgezeichnet, und im Jahr 2010 erhielt sie den Pressepreis der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie.

Gawrilow C: Lehrbuch ADHS. Modelle, Ursachen, Diagnose, Therapie. 2. Aufl., München: Ernst Reinhardt Verlag 2016.

Rösler M et al (Hg): Soziale Folgen der ADHS. Kinder – Jugendliche – Erwachsene. Kohlhammer Verlag 2013.

https://www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/adhs-erwachsene/artikel/, Abruf Mai 2023

https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/adhs/erwachsene.html, Abruf Mai 2023

https://www.adhs.info/fuer-erwachsene/adhs-im-erwachsenenalter/, Abruf Mai 2023

https://www.adhs-ratgeber.com/adhs-im-erwachsenenalter.html, Abruf Mai 2023

ICD 10 Code: F90

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