Frau hält eine Tablette in der einen und eine Glas Wasser in der anderen Hand
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Chronisches Schmerzsyndrom

Unter chronischen Schmerzen versteht man alle Schmerzen, die länger andauern als es nach einer akuten Ursache nachvollziehbar wäre. Anders als beim akuten Schmerz hat der chronische Schmerz keine Funktion als Warnsignal, sondern stellt vielmehr ein eigenständiges Krankheitsbild dar. Chronische Schmerzen sind weit verbreitet und meist nur schwer bzw. nur eingeschränkt therapierbar. Es geht häufig darum, mit dem Schmerz leben zu lernen.

Factbox

Chronisches Schmerzsyndrom: chronische Schmerzen, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren

 Definition Schmerz: unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder drohenden Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird

Kennzeichen chronischer Schmerz: eigenständige Erkrankung; besitzt keine Warnfunktion; kann auch bestehen, wenn keine körperliche Ursache (mehr) vorhanden ist; ist über das Ausmaß einer akuten Ursache hinaus nicht nachvollziehbar lange andauernd

Risikofaktoren für eine Schmerzchronifizierung: genetische und psychosoziale Faktoren, ungünstige Formen der Schmerzbewältigung

Schmerzarten, die häufig chronifizieren: Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Tumorschmerzen.

Therapie: idealerweise multimodale Schmerztherapie

Was ist Schmerz und wie entsteht er?

Schmerz ist nach der Erklärung der Weltschmerzorganisation International Association for the Study of Pain (IASP) ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder drohenden Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird. Doch die Empfindung von Schmerz gehört zum Menschsein – genauso wie die von Hunger, Durst, Hitze oder Kälte, und normalerweise ist Schmerz ein Warnsignal des Körpers. Er zeigt an, dass etwas nicht stimmt, dass also etwa Reizungen, Wunden oder Entzündungen entstanden sind und sich möglicherweise ausbreiten. Derartige akute Schmerzen empfindet man beispielsweise bei Prellungen, Schnittverletzungen, Sonnenbrand, Zahnproblemen oder Muskelverspannungen. Kommt es zu einem solchen schmerzhaften Reiz, so entstehen elektrische Impulse, die über bestimmte Nervenfasern zum Rückenmark weitergeleitet werden. Dort werden die Impulse an eine weitere, auf die Wahrnehmung von Schmerz spezialisierte Nervenzelle weitergereicht und die Schmerzsignale anschließend an verschiedene Gehirnzentren weitergeleitet. In der Regel klingen die Schmerzen von selbst ab, sobald die auslösende Ursache geheilt oder beseitigt wurde.

Was ist chronischer Schmerz?

Im Gegensatz zu diesem akuten Schmerz stehen chronische Schmerzen. Sie sind oft mit chronischen Erkrankungen wie etwa rheumatischen Leiden, Durchblutungsstörungen bei Diabetes oder Tumorerkrankungen verbunden. Abgesehen davon kann Schmerz selbst zu einer eigenständigen Erkrankung werden, die auch dann bestehen kann, wenn keine körperliche Ursache (mehr) für den Schmerz vorhanden ist. In diesem Fall hat der Schmerz auch seine biologisch sinnvolle Warnfunktion verloren und sich zu einem eigenständigen Krankheitsbild entwickelt.Man spricht dann auch vom chronischen Schmerzsyndrom.

Was den Zeitraum betrifft, ab dem man einen Schmerz als chronisch bezeichnet, so werden in wissenschaftlichen Studien meist drei bis zu sechs Monate angegeben. Aktuell geht man davon aus, dass Schmerzen dann als chronisch bezeichnet werden, wenn ihre Dauer über das Ausmaß einer akuten, frisch aufgetretenen Ursache hinaus nicht nachvollziehbar lange anhält.

Das Schmerzgedächtnis

Heute weiß man auch, dass starke und länger andauernde Schmerzreize die Nervenzellen von Rückenmark und Gehirn sensibler für nachfolgende Schmerzreize machen können. Das kann dazu führen, dass später bereits leichte Reize wie eine sanfte Berührung, mäßige Hitze oder Druck plötzlich als starker Schmerz empfunden werden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Schmerzgedächtnis, das in weiterer Folge zu Veränderungen der Nervenzellstrukturen im Gehirn führt. Dabei kann eine regelrechte Schmerz-Überempfindlichkeit entstehen, und es kann sein, dass die überempfindlich gewordenen Nervenzellen auch dann Schmerzsignale vom Rückenmark ans Gehirn senden, wenn etwa aus einem verspannten Muskel gar keine Schmerzsignale mehr im Rückenmark eintreffen, weil die eigentliche Schmerzursache bereits beseitigt wurde. So wird, was als akuter Schmerz begonnen hat, zu einem chronischen Schmerz.

Bio-psycho-sozialer Schmerz

Dass Schmerzen chronisch werden, ist nicht bei allen Menschen gleichermaßen gegeben, selbst dann nicht, wenn vergleichbare Krankheitsbilder vorliegen. Anfällig für die Chronifizierung von Schmerzen sind zum einen diesbezüglich genetisch Veranlagte, zum anderen sind aber auch vor allem psychosoziale Faktoren dafür maßgeblich, ob und wie stark sich eine Schmerzerkrankung ausbildet. So sind etwa Menschen mit psychischen Vorerkrankungen wie Depressionen oder Ängsten in dieser Hinsicht stärker gefährdet als psychisch Gesunde. Aber auch dauerhafte Alltagsbelastungen, Konflikte in Beruf und Familie sowie ungünstige Formen der Schmerzbewältigung wie ein ausgeprägt ängstliches Schon- und Vermeidungsverhalten oder ein extremer Durchhaltewille sind Risikofaktoren für die Entstehung von chronischem Schmerz. Experten sprechen deshalb im Zusammenhang mit Schmerz auch vom bio-psycho-sozialen Schmerz, den jeder Mensch anders empfindet.

Begleitende Beschwerden

Chronische Schmerzen werden oft von weiteren Beschwerden begleitet – zum Beispiel Schlafstörungen, Appetitmangel, gesteigerter Reizbarkeit und depressiven Verstimmungen. Zudem können sie massive Einschränkungen in Alltag, Beruf und Freizeitleben mit sich bringen.

Lang anhaltende Schmerzen führen oft auch zu einem hohen Schmerzmittelverbrauch, der auf längere Sicht neben Magen-Darm-Beschwerden und Nierenschäden mit sich bringen kann. Und: Ein hoher Schmerzmittelkonsum kann die Aufrechterhaltung von Schmerzen begünstigen.

1,5 Millionen Betroffene

Laut der Plattform Allianz Chronischer Schmerz Österreich leben hierzulande 1,5 Millionen Menschen mit chronischen Schmerzen. 50 Prozent von ihnen sind dadurch unmittelbar in ihrem Berufsleben beeinträchtigt, und mindestens elf Prozent arbeitsunfähig. Fatal ist zudem, dass im Schnitt 2,5 Jahre bis zur Erstellung einer korrekten Diagnose und über drei Jahre bis zu einer adäquaten Behandlung vergehen.

Schmerzarten, die häufig chronifizieren

Zu den häufigsten Schmerzformen, die einen chronischen Verlauf nehmen können, gehören:

  • Kopfschmerzen (z.B. chronische Migräne, chronische Spannungskopfschmerzen)
  • Rückenschmerzen (z.B. chronische Kreuzschmerzen)
  • Muskelschmerzen (z.B. bei Fibromyalgie, einer chronischen Schmerzerkrankung, die Muskeln, Sehnen und Gelenke betrifft)
  • Gelenkschmerzen (z.B. bei Arthrose oder rheumatoider Arthritis
  • Tumorschmerzen

Therapie chronischer Schmerzen

Chronische Schmerzen sind leider oft nur schwer bzw. eingeschränkt therapierbar. Die Behandlung kann langwierig sein, und nicht immer bringt der erste Therapieversuch den gewünschten Erfolg. Das liegt unter anderem daran, dass die genauen Ursachen von chronischen Schmerzen oft schwierig herauszufinden sind, weil sie sehr unterschiedlich sein können. In der Therapie geht es daher oft nicht nur um die Verordnung von Medikamenten oder operative Eingriffe. Die moderne Schmerztherapie umfasst idealerweise einen multimodalen Ansatz. Das bedeutet, dass nicht nur ärztliche Schmerzspezialisten, sondern auch andere, auf Schmerz spezialisierte Berufsgruppen wie Psychologinnen, Pflegepersonen, Physio- und Sporttherapeuten, Bewegungs- und Ergotherapeutinnen sowie Sozialarbeiter  in das Therapiekonzept miteingebunden werden. Bei der multimodalen Schmerztherapie geht es darum, dass der Patient seine Alltagstätigkeiten wieder aufnimmt, dass seine Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt, körperliche Schwächen abgebaut und Bewegungsängste verringert werden. Zudem wird das Augenmerk darauf gelegt, dass Schmerzpatienten ihr Risikoverhalten verändern und zum Beispiel ihr Schon- oder Durchhalteverhalten aufgeben. Auch Verfahren wie psychologische Schmerzbewältigung, Entspannungsübungen, Stressbewältigungsprogramme und physikalische und manuelle Therapiemethoden kommen zum Einsatz.

  • Autor

    Mag. Gabriele Vasak

    Medizinjournalistin

    Gabriele Vasak ist seit 2019 freie Journalistin in der DocFinder-Redaktion. Ihr besonderes Interesse liegt schon lange im Bereich der medizinischen Contentproduktion. Im Jahr 2006 wurde sie mit dem Medienpreis für Gesundheitsförderung & Prävention des Fonds Gesundes Österreich ausgezeichnet, und im Jahr 2010 erhielt sie den Pressepreis der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie.

Annette Becker, Michal Becker, Peter Engeser: Chronischer Schmerz. Leitlinie. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-036l_S1_Chronischer_Schmerz_2013-10-abgelaufen.pdf, derzeit in Überarbeitung.
Hadi Taghizadeh, Justus Benrath: Pocketguide Schmerztherapie. Springer 2019.

Magistratsabteilung 24 Gesundheits- und Sozialplanung: Schmerzbericht Wien 2018.
https://goeg.at/sites/goeg.at/files/inline-files/schmerzbericht-2018.pdf, abgerufen am 21.4.2021

Hans-Günter Nobis, Roman Rolke: Chronische Schmerzen.
https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/herausforderung-schmerz/akute-und-chronische-schmerzen-1, abgerufen am 21.4.2021

James C. Watson: Chronische Schmerzen.
https://www.msdmanuals.com/de/heim/störungen-der-hirn-,-rückenmarks-und-nervenfunktion/schmerzen/chronische-schmerzen, abgerufen am 21.4.2021

https://www.schmerz-allianz.at/schmerz-fakten/chronischer-schmerz/, abgerufen am 21.4.2021

https://flexikon.doccheck.com/de/Schmerzsyndrom, abgerufen am 21.4.2021

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